Champagner – ein königlicher Mythos
„Eilt herbei Brüder, ich trinke Sterne“. Mit diesen geflügelten Worten soll der Mönch Pierre Pérignon – besser bekannt als Dom Pérignon – seine Klosterbrüder herbeigerufen haben, nachdem er die sichere Karbonisierung der eigentlichen Stillweine verstanden und angewandt hat.
Viele Jahre sind seither vergangen, viel Champagner getrunken worden und die Welt hat sich seitdem mehrfach geändert. Eines jedoch ist geblieben: der Mythos und die Anziehungskraft einer der wertvollsten Weine der Welt: eben jenes Champagners.
Vom Kalk zur Champagne – das nördliche Terroir
Lange galt die Champagne als das nördlichste Gebiet Europas, in dem Weinbau klimatisch möglich ist. Viel zu kalt wird es nördlich des 50. Breitengrades – zumindest ist dies die gültige Wahrheit vor der globalen Erderwärmung. Heute wird selbst in England – auf das noch zurückzukommen sei – Wein zur Herstellung von Schaumweinen angebaut. Man liebt die noblen Bläschen im Königreich wohl mehr als sonst wo außerhalb Frankreichs.
Es dauert etwas weniger als zwei Stunden mit dem Auto, um von Paris nach Reims, der mehr oder weniger offiziellen Hauptstadt der Champagne, zu gelangen.
Es ist vor allem jene Kühle der Nacht, welche die so wichtige Säure in die Trauben bringt. Doch nicht nur das Klima um die Städte Reims und Épernay ist von besonderer Bedeutung für Champagner – es ist vor allem der kalkhaltige Boden. Dieser Kalk, aus dem Jura stammend, bringt zwei entscheidende Vorteile mit sich: Er speichert zum einen Feuchtigkeit, ohne dabei Stocknässe zu bilden. Tief im Unterirdischen werden viele Liter Regenwasser pro Kubikmeter Kalk gespeichert und langsam aber kontinuierlich den Wurzeln der Reben zur Verfügung gestellt. Der zweite Vorteil ist weniger ersichtlich, denn dafür muss man tief hinein in die Geschichte und die Häuser der Champagne. Genauer gesagt muss man unter sie. Der Kalk diente in vergangenen Tagen zum Bauen der Häuser – wobei die Kathedrale von Reims das wohl beeindruckendste Beispiel liefert. Die Spuren des Kalkabbaus bilden heute die kilometerlangen Kellergewölbe, in denen der Champagner reift und seine Vollendung erfährt. Dies ist die historische Bedeutung des Terroirs dieser weltberühmten Weinregion.
Dieses besondere Terroir umfasst schlussendlich fünf Gebiete, von denen drei eine mehr oder minder zusammenhängende Fläche bilden und zwischen Reims und Épernay, der heimlichen Hauptstadt der Champagne, liegen: das Tal der Marne, die Côte des Blancs und die Berge um Reims. Weiter südlich befindet sich die Côte de Sézanne und kurz vor dem Burgund die Côte des Bar. Alle diese Regionen zeichnen sich durch ein vielfältiges Mikroklima und besondere Böden aus, welche sie für bestimmte Rebsorten besser geeignet erscheinen lassen. Diese Regionen und ihre insgesamt 61 Cru-Lagen auf rund 34.000 Hektar sind die Grundlage für die geschützte Herkunftsbezeichnung – das A.O.C. Champagner. Doch nicht nur die Lage, auch die Herstellung – die sogenannte Champagner Methode, oder auch Méthode Traditionelle genannt, sind für Champagner von enormer Bedeutung.
Rote Trauben, weißer Saft
Die Herstellung des bedeutendsten aller schäumenden Weine ist nicht nur durch die geschützte Herkunft bestimmt, sondern vor allem auch Vorbild für viele andere große Schaumweine wie Crémant aus der Loire oder aus dem Elsass sowie dem Cava aus Spanien.
Die Grundlage für Champagner bilden die drei wichtigen Rebsorten Chardonnay (vor allem von der Côte des Blancs und der Côte de Sézanne), der Pinot Noir (Berge von Reims und Côte des Bar) sowie der Pinot Meuniers, ein Schwarzriesling aus dem Marne-Tal. Eines der magischsten Momente des Champagners besteht darin, dass aus hauptsächlich roten Trauben – Pinot Noir und Meuniers – ein vorwiegend weißer Wein erzeugt wird.
Die Trauben müssen zwingend von Hand gelesen werden, um diese dann sanft in altertümlichen Korbpressen zu – nun, zu pressen. Dies erscheint den Winzern der sanfteste Weg um den feinsten Saft aus den Trauben zu gewinnen. Das Pressen muss äußerst zügig erfolgen, da ein langer Schalenkontakt dafür sorgen würde, dass die Farbpigmente der roten Beeren auf den Saft übergehen würden. Dies ist nur dann erwünscht, wenn man einen Rosé-Champagner bereiten möchte – obwohl man dafür an anderer Stelle ein weitaus effektiveres Verfahren anwenden kann, zu dem wir später noch kommen werden.
Ein Wein unter Weinen – primus inter pares
Die durch hohe Säure und geringen Zucker geprägten Weine werden modern im Stahltank, aber auch klassisch im Holzfass vergoren, wobei es jedem überlassen bleibt, die Weine lange im Gärbottich zu belassen. Für jahrgangslose Champagner – die sogenannten Standard-Cuvées – gilt eine Mindestzeit von 15 Monaten (wobei davon mindestens 12 auf der Hefe erfolgen müssen), wohingegen Jahrgangs-Champagner mindestens 36 Monate reifen müssen. Zumeist lassen die Kellermeister die Weine selbst bei großen Häusern wie Moët & Chandon deutlich länger reifen.
Nach der Gärung werden die einzelnen Grundweine assembliert, wobei nicht nur Weine des aktuellen Jahrgangs zur Verwendung kommen, sondern auch Reserveweine aus den letzten Jahren. Mit dieser Cuvée garantiert man eine Konsistenz im Geschmack und definiert den jeweiligen Hausstil, welcher von frisch und spritzig wie bei Perrier Jouët über weinig (Veuve Clicquot) bis hin zu opulent und schier unendlich vielschichtig (Krug, der für mich wohl beste Champagner der Welt) – so vielfältig wie die Philosophie der einzelnen Winzer sein kann.
Wer einen Rosé-Champagner erzeugen möchte, für den ist jetzt der Moment gekommen, an dem man dem weißen Wein einen gewissen Anteil Rotwein beimengen darf, um ihm die betörende Rot-Tönung zu ermöglichen, welche für viele einen besonderen Reiz ausmacht. Jeder, der schon mal einen Ruinart Rosé getrunken hat, wird diese gewisse Eleganz und Erotik des Getränks verstehen.
Das zweite Leben
Bis zu diesem Punkt sind die Weine still, doch jetzt kommt der Moment, für den wir Dom Pérignon wohl auf ewig dankbar sein müssen: die Veredelung des Stillweins hin zum Schaumwein. Der Wein wird nun auf die Flasche gebracht und mit einem Gemisch aus Wein, Zucker, Hefe und Klärungsmittel – dem liqueur de tirage – ergänzt. Dies sorgt für die so unendlich wichtige zweite Gärung in der Flasche, der wir die so eleganten Bläschen verdanken, denn das entstehende CO2 bindet sich über die Zeit – vier bis fünf Jahre – ein. Diese zweite Gärung ist eines der großen Besonderheiten, welche Champagner zu dem Wein machen, der weltweit so viel Ruhm erfährt. Ein Wein, über den wir schier unendliche Mythen und Geschichten gehört haben und noch hören werden. Eben der König der Weine. Doch noch sind wir noch lange nicht dort angelangt, wo wir uns mit einem Glas Champagner in einen Rausch der Leidenschaft und des Genusses begeben. Es wird noch zu berichten sein über eine Witwe, welche wie Dom Pérignon die Geschicke dieses Mythos geprägt haben wird und über Engländer, die dem Stil der Weine eine neue Prägung verschafften.
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